• News

Aktuelle Nachricht

10 Jahre AGG - Bericht über Diskriminierungsfall auf tagesschau.de

Antidiskriminierungsgesetz in der Praxis
Im Fitnessstudio nicht erwünscht?

Stand: 09.08.2016 13:25 Uhr - https://www.tagesschau.de/inland/antidiskriminierungsgesetz-103.html 

Ersin Tasar lebt seit Jahrzehnten in Deutschland, hat hier studiert und ist Anwalt - aber sein Name ist nicht deutsch. Wollte ein Fitnessstudio ihn deswegen nicht als Kunden? Er zumindest sieht es so. Aber seine Klage scheiterte.

Von Mona Ameziane, WDR

Seit 26 Jahren lebt Ersin Tasar in Deutschland. Spricht man mit ihm darüber, dann sagt er mit Nachdruck: "Ich bin in der Türkei geboren, aber Duisburg ist meine Stadt, da bin ich aufgewachsen seit ich sieben Jahre alt war." Nach dem Abitur studiert er Rechtswissenschaften, wird Anwalt, gründet seine eigene Kanzlei in Düsseldorf.

Im Winter 2013 lautet der Neujahrsvorsatz des 34-Jährigen: mehr Sport. "Ich wollte zum ersten Mal so richtig trainieren, vor allem als Ausgleich und zum Abschalten nach der Arbeit", erzählt er. Dass diese Entscheidung zwei nervenaufreibende Jahre, ein anstrengendes Gerichtsverfahren und schließlich eine bittere Enttäuschung nach sich ziehen würde, konnte er zu dem Zeitpunkt nicht ahnen.

Vergebliches Warten auf die Aufnahme

Als ein Fitnessstudio Anfang des Jahres 2014 mit einer Rabattaktion um neue Kunden wirbt, versucht Tasar, sich anzumelden. Er erinnert sich: "Ich habe das Anmeldeformular ausgefüllt und sollte zwei Tage später noch einmal nachfragen, ob ich in das System aufgenommen wurde. Das war nicht der Fall, also habe ich mich noch einmal angemeldet."

Als er aber auch nach dem zweiten Anmeldeformular und mehreren Nachfragen nicht als Kunde aufgenommen wird, wendet er sich schließlich in einem Brief an die Geschäftsleitung - und erhält keine Antwort. Tasar vermutet, dass die vergeblichen Versuche, in dem Studio Mitglied zu werden, mit seinem ausländischen Namen zusammenhängen.

Erst, als er mit Hilfe des Duisburger Anti-Rassismus Informations-Centrums (ARIC) an das Fitnessstudio herantritt, nehmen die Verantwortlichen Stellung: Es gebe nicht mehr genügend Kapazitäten. "Das fand ich unglaubwürdig, vor allem weil das Studio ja mit der Werbeaktion aktiv neue Mitglieder angeworben hat", sagt Tasar.

"Ich wollte ein Zeichen setzen"

So geht es auch Hartmut Reiners vom ARIC. Ihm ist das Fitnessstudio bereits seit Jahren bekannt: "Schon vor dem Fall von Tasar haben sich Männer mit ausländischen Namen bei uns gemeldet, die ebenfalls vergeblich versucht haben, sich in dem Fitnessstudio anzumelden." Allerdings sei keiner von ihnen mit dem Fall vor Gericht gegangen.

Im Juni 2014 klagt Tasar gegen das Fitnessstudio. Dabei bezieht er sich auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und verlangt 1000 Euro Entschädigung. Nach einem Schlichtungsverfahren ohne Einigung geht der Fall vor Gericht. "Ich wollte ein Zeichen setzen, für mich und auch für andere, denen es so wie mir ergangen ist", erzählt er heute.

Antidiskriminierungsstelle des Bundes zieht Bilanz
nachtmagazin 00:15 Uhr, 10.08.2016, Anna Mundt, ARD Berlin

 Gericht sieht keine ausreichenden Beweise

Das Fitnesscenter wehrt sich: Es habe ein Losverfahren gegeben und Tasar sei deshalb nicht aufgenommen worden. "Dann haben die Verantwortlichen sogar zugegeben, dass sie bewusst wenig Migranten aufnehmen würden und bei Neukunden eher an Frauen interessiert seien", erzählt Reiners. Nach über zwei Jahren wird die Klage dann vollständig abgewiesen, "weil der Kläger keine ausreichenden Beweise für Indizien einer Diskriminierung vorlegen konnte, weder mittelbar, noch unmittelbar", erklärt Rolf Rausch, Sprecher des Amtsgerichts Duisburg.

Reiners kritisiert die Entscheidung des Gerichts: "Das war kein faires Verfahren. Uns hat sogar der Vater eines ehemaligen Mitarbeiters aus dem Fitnesscenter angerufen und von den selektiven Vorgehensweisen dort erzählt." Aber das Amtsgericht habe weder diesen noch das ARIC als Verband als Zeugen geladen. Gerichtssprecher Rausch bestätigt dies und hält die Entscheidung für rechtens: Bei den vorgeschlagenen Zeugen handele es sich nicht um "konkret Betroffene" in dem Fall, "sondern jeweils um Personen, die lediglich Informationen aus zweiter Hand haben".

Von der Leitung des Fitnessstudios gab es bis zum jetzigen Zeitpunkt auf Anfrage unserer Redaktion keine Stellungnahme.

Sollen auch Verbände klagen dürfen?

ARIC-Vertreter Reiners fordert eine Verschärfung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Vor allem müsse es die Möglichkeit eines Verbandsklagerechts geben. Dann hätte das ARIC als Verein mit den anderen bekannten Fällen gegen das Fitnessstudio vorgehen können. Außerdem verlangt er eine Mindeststrafe: "Die Summe muss so groß sein, dass sie die Unternehmen wirklich abschreckt. Ein paar hundert Euro tun den meisten überhaupt nicht weh."

Tasar ist nach zwei Jahren Rechtsstreit wütend und enttäuscht. Er wäre sofort in Berufung gegangen, sagt er, aber weil der Streitwert mittlerweile unter 600 Euro liegt, sei dies nicht möglich. Mittlerweile habe er sich zumindest völlig problemlos in einem anderen Fitnessstudio angemeldet.

Zurück