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Bericht Veranstaltung #Polizeiproblem - Die Polizei in NRW zwischen Rassismus und Reformen

Am Freitag, den 12. August 2022, fand in der Kulturkirche Duisburg und Online unsere Veranstaltung #Polizeiproblem? Die Polizei in NRW zwischen Rassismus und Reformen statt. Anlässlich der Veröffentlichung des Berichts der Stabstelle des Innenministeriums vor einem Jahr, die sich mit „rechtsextremistischen Tendenzen“ innerhalb der Polizei NRW beschäftigt und mit dem Bericht Handlungsempfehlungen vorlegt, möchten wir eine Diskussion um strukturellen Rassismus bei der Polizei NRW ermöglichen, den der Abschlussbericht weitgehend ausklammert. Das Thema erfuhr durch die vier Todesopfer bei Polizeieinsätzen in Frankfurt, Köln,  Oer-Erkenschwick und Dortmund in den letzten Wochen eine traurige Aktualität.

Menschen sterben wegen des strukturellen Polizeiproblems, stellt Mohammed Amjahid zu Beginn seines Vortrags „Rassismus und gesellschaftliche Verantwortung der Polizei“ fest, und fragt kritisch: Inwiefern die Politik rassifizierte Menschen schütze. Wichtig sei, Räume für einen ganzheitlichen Blick auf die Polizei zu öffnen und das Rassismusproblem bei der Polizei anzuerkennen. Auch Vermittlung z.B. zwischen der Wissensproduktion seitens Wissenschaft, NGO und Zivilgesellschaft und der Polizei sei entscheidend.

Wir als Veranstaltergemeinschaft[1] eröffneten im Rahmen unserer Stellungnahme zum Bericht der Stabstelle die Frage, inwieweit Menschen, die Erfahrungen von diskriminierendem Polizeihandeln äußern, als Expert:innen Ihrer Lebenswelt überhaupt wahrgenommen und anerkannt werden. Die Perspektive von Menschen, die diskriminierendes Polizeihandeln erleben, wird nicht erhoben, das von ihnen postulierte Vertrauensproblem nicht bearbeitet. Zwar wurden die Expert:innen der Veranstaltergemeinschaft zur Erarbeitung des Stabstellenberichts befragt, jedoch spielen diese Perspektiven bei den vorgestellten Handlungsoptionen kaum eine Rolle.

Von eigenen Erfahrungen mit der Polizei berichtet Neso Salijević vom Kulturverein TKM e.V. in Duisburg. Rassistische Diskriminierung durch die Polizei erlebe und beobachte er als Roma im Alltag oft selbst. Widerholte Erfahrungen von offensichtlichen Ungleichbehandlungen seitens Polizist:innen in verschiedenen Situationen, sei es bei allgemeinen Verkehrskontrollen oder der Erstattung einer Anzeige, zeigen größere Rassismen. Dennoch, so Neso Salijević, würde er die Polizei rufen und seine Erfahrungen nicht verallgemeinern. Auch in seiner Arbeit mit Kindern und Jugendlichen thematisiert er den Umgang mit der Polizei und seine Erfahrungen.

In Berlin können sich Menschen mit solchen und ähnlichen diskriminierenden Erfahrungen an Doris Liebscher von der Ombudsstelle LADG Berlin wenden. Im letzten Jahr gingen 53 Polizeibeschwerden ein, 20 davon mit dem Schwerpunkt Rassismus. Die eingehenden Beschwerden zeigen dabei Vertrauen der Betroffenen in die Beschwerdestelle und seien als positives Zeichen zu interpretieren, so Liebscher. Doch auch weiterhin gehen Beschwerden über zivilgesellschaftliche Organisationen oder Beratungsstellen ein, denn das Vertrauen für eine direkte Beschwerde bei der Ombudsstelle sei noch nicht bei allen Betroffenen gegeben.

Dieses fehlende Vertrauen in die Polizei, aber auch in Beschwerdestellen beschreibt auch Gülgün Teyhani (Servicestelle für Antidiskriminierungsarbeit, ARIC-NRW e.V.). Klient:innen, die zu ihr in die Beratung kämen, hätten Angst und es falle ihnen sehr schwer über ihre Erfahrungen zu sprechen. Hinzu käme Angst vor Repressalien bei Beschwerdeführung und Hemmungen Schritte gegen die Diskriminierung zu unternehmen. Sollten sich Menschen dennoch dazu entscheiden, eine Beschwerde zu führen, wäre es selbst für Beratungsstellen schwer einen Ansprechpartner zu erreichen. Diese Art der Beschwerdemöglichkeiten bei Diskriminierung durch die Polizei zeige fehlendes Interesse.

Vor dem Hintergrund der vier aktuellen Todesfälle sprächen Betroffene von Wut und Trauer. Entschuldigungen würden Betroffene verhöhnen, wenn es weiter zu Todesfällen käme, so Ali Şirin (Bündnis Tag der Solidarität – Kein Schlussstrich Dortmund). Gamze Kubaşık (Tochter des vom NSU ermordeten Mehmet Kubaşık) berichtet von 6 Jahren der Rechtfertigung, Demütigung, Beschuldigung, die sie und ihre Familie währen der Untersuchungen der Morde durch den NSU erlebt habe. Das schlimmste sei die Darstellung des Vaters durch die Polizei in der Öffentlichkeit, der Nachbarschaft, dem privaten Umfeld der Familie. Dies sei nicht zu verzeihen.

„Warum sollten wir der Polizei vertrauen?“ fragt Dr. Mehmet Daimagüler (Antiziganismusbeauftragter der Bundesregierung) und beschreibt ein strukturelles Polizeiproblem. Die Politik bagatellisiere mithilfe der Einzelfallthese anstatt Rassismus bei der Polizei strukturell anzugehen. Auch Vorgesetzte, die keine Beschwerden führten, seien Teil des Problems.

Nanina Sturm (Hochschule für Polizei und Verwaltung – Studienort Dortmund) unterstrich die Bedeutung der strukturellen Arbeit innerhalb der Ausbildung und der gesamten Institution. Dabei brauche es Maßnahmen für offenkundige und subtile Rassismen, also für Chatgruppen aber auch für Beamt:innen intern. Ein individuelles Wertekorsett könne die strukturelle Arbeit nicht ersetzen.

Rassistische Handlungsweisen und problematisches Erfahrungswissen bei der Polizei untersucht Hannah Espín Grau (Forschungsprojekt KVIAPOL – Ruhr-Universität Bochum). Betroffene würden eine andere Polizei erleben, die geprägt sei von tatsächlichen oder erzählten Erfahrungen, die so oft reproduziert würden, bis sie als Wissen anerkannt würden. Diese Prozesse der Wissensbildung und damit einhergehende Deutungshoheiten können Ansatzpunkte für strukturelle Arbeit sein. Letztlich stelle sich die Frage: Was für ein Verhältnis von Polizei und Gesellschaft wollen wir? Welchen Auftrag geben wir der Polizei?

Am Ende der Veranstaltung wurde geschlossen gefordert - seitens der Expert:innen aber auch des Publikums - , dass das Problem anerkannt und als strukturell akzeptiert wird. Um verletztes Vertrauen auf Seiten der Betroffenen rassistischen Polizeihandelns wiederaufzubauen, sei eine lückenlose Aufklärung unabdingbar. Täter:innen und Beamt:innen müssen für ihr Handeln zur Rechenschaft gezogen werden und es müssen Konsequenzen, wie ein Berufsverbot für Beamtinnen, folgen.

Auch ein LADG NRW, also ein Landesantidiskriminierungsgesetz für NRW, wurde gefordert, das einen gesetzlichen Rahmen für den Umgang mit Diskriminierung und Rassismus in Behörden und bei der Polizei bieten würde. Eine unabhängige Beschwerdestelle und unabhängige Polizeibeauftrage seien weiterhin erforderlich. Doch Kontroll- und Beschwerdeinstanzen reichen nicht aus, auch eine externe Ermittlungsbehörde mit weitreichenderen Befugnissen wird als notwendig gesehen, um das Vertrauen in die Polizei wieder zu stärken und den Perspektiven der Betroffenen gerecht zu werden.

Bei über 160 Teilnehmenden online und vor Ort bedanken wir uns für herzlich Ihr Interesse!

Einen Artikel der WAZ finden Sie hier.

Einen WDR Westblick Beitrag hier.

Wenn Sie Interesse an der vollständigen Stellungnahme der Veranstaltergemeinschaft haben, melden Sie sich gerne per Mail unter servicestelle@aric-nrw.de

 

[1]

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